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, Interview

„20 Jahre bürokratischer Beton“

Deutschlands erster Digitalminister, hat die Aufgabe, den Staat zu modernisieren. Im Interview spricht der Ex-Manager auch über seinen CDU-Eintritt, Naturwissenschaftler in der Politik und seine Abneigung gegenüber Faxgeräten.

Herr Wildberger, kurz nach Amtsantritt sagten Sie, wenn Sie in Ihrem Haus ein Faxgerät entdecken, dann werfen Sie es raus.

Ja, so ist es. Das wäre auch rausgeflogen. Ich habe aber nichts gefunden. Und ganz ehrlich: Ich wüsste auch nicht, wofür man das heutzutage noch braucht.

Sie sind seit knapp 170 Tagen Deutschlands erster Digitalminister. Vorher waren Sie in der Wirtschaft. Was hat Sie seit IhremWechsel in die Politik überrascht?

Die Eigenständigkeit der Ministerien ist schon sehr ausgeprägt. Die Frage der Umsetzung ist daher deutlich komplexer als in der Wirtschaft. Aber wie in der Wirtschaft
müssen Sie auch in der Politik Menschen für sich gewinnen und Strategien entwickeln. Insofern bringe ich viel Erfahrung mit, auch wenn das politische System anderen Regeln folgt.

Sie sprechen von der Eigenständigkeit der Ministerien. Erschwert das Ihre Arbeit?

Das Ressortprinzip, also dass Zuständigkeiten klar unter Ministerien verteilt sind, hat einen sinnvollen Hintergrund. Man muss schon definieren, wo welche Verantwortlichkeiten liegen. Wichtig ist es, dass Häuser auch zusammenarbeiten – wie bei der Modernisierungsagenda
oder bei Entbürokratisierung. Das Ressortprinzip an sich darf nicht infrage gestellt werden. Aber ein bisschen Veränderung braucht es dennoch.

Ihr Ministerium ist darauf angelegt, quer in andere Häuser reinzuarbeiten und Bürokratie abzubauen. Sind Reibungen nicht vorprogrammiert?

Wir haben für einige Themen die Federführung, aber im Kern sind wir ein Querschnittshaus. Und das ist auch Neuland für die Politik. Wir können Staatsmodernisierung nur zusammen umsetzen, weil es alle betrifft. Die Modernisierungsagenda, die von der Bundesregierung
verabschiedet wurde, war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Jetzt geht es an die Umsetzung. Das ist kein Selbstläufer. Wir haben in diesem Land in den letzten 20 Jahren massiv bürokratischen Beton angemischt und aufgebaut. Das lässt sich nicht so einfach in einem Jahr rückgängig machen. Wir müssen lernen, diesen aufzulösen. Das ist ein Prozess, politisch wie gesellschaftlich.

Aber warum ist alles überhaupt so komplex geworden?

Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen zu wenig vertraut. Wir machen in vielen Bereichen viele Vorgaben – ein Stück weit auch initiiert von der EU.

Die Beliebtheitswerte der Regierung und die Umfragen für CDU und SPD sind im Moment nicht gut. Wie erleben Sie die Stimmung im Kabinett?

Sehr entschlossen. Wir haben letzte Woche wichtige Dinge durchgebracht. Und wenn wir auf die Entscheidungen schauen, glaube ich, dass wir schon extrem viel als Regierung erreicht haben. Es ist kommunikativ nicht alles gut gelaufen. Vieles kommt noch nicht bei den
Bürgern an, vieles befindet sich noch im Gesetzgebungsprozess und kann deshalb noch gar nicht wirken. Und gleichzeitig sind wir in einer Zeit mit historischen Krisen von allen Seiten. Und unser Bundeskanzler ist in beeindruckender Weise der Sache verpflichtet.

Es gibt ein paar Projekte, die Sie ins Schaufenster stellen, die sogenannten Hebelprojekte. Können Sie sagen, wann mit der Umsetzung erster Projekte zu rechnen ist?

Die Bürgerinnen und Bürger wollen zu Recht nicht nur Ankündigungen hören. Deshalb wollen wir sichtbare Projekte liefern. Bei der zentralen elektronischen Zulassung von Fahrzeugen ist die technische Lösung schon sehr weit. Wir haben auch viel Vorarbeit geleistet für die
24-Stunden-Unternehmensgründung. Wir haben eine große Anzahl an Digitalisierungsprojekten, die in Arbeit sind. Da setzen wir uns auch gerne selber unter Druck. Manche Projekte brauchen aber Zeit.

Die elektronische Fahrzeugzulassung klingt recht fortgeschritten.

Technisch würden wir das schnell hinkriegen. Aber die behördlichen Strukturen anzupassen, ist sportlich. Sie müssen viel in den Kraftfahrzeugämtern verändern, auch in Flensburg sind Prozessanpassungen notwendig. Das ist sehr aufwendig. Es ist nicht immer nur eine technische Frage. Da sind ja auch Prozesse mit Menschen involviert, die sich umstellen müssen. In anderthalb Jahren wollen wir damit aber durch sein.

Dann soll auch die digitale Brieftasche, die DigitalWallet, kommen.

Hier fahren wir mit Hochdruck. Wir haben einen technischen Arbeitsstrang, der sehr weit ist. Zugleich arbeiten wir daran, welche Dokumente mit welchen Sicherheitsstandards
in die Wallet reinkommen. Also Ausweis, Führerschein, Fahrzeugschein und Versicherungskarte.
Und dann arbeiten wir mit Industrie und Marktteilnehmern daran, dass man mit dieser Brieftasche auch Bankkonten eröffnen und Mobilfunkverträge abschließen kann. Das Projekt ist sehr komplex. Aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass ältere Menschen oder Menschen mit einer geringen Digitalkompetenz die Wallet auch nutzen?

Wir legen viel Wert darauf, dass die Nutzung intuitiv ist. Abstrakt haben wir schon eine hohe Akzeptanz für digitale Lösungen in der Bevölkerung. Aber wenn es wirklich darum geht, Dinge strukturell zu verändern, tun wir uns noch schwer damit. Ich hoffe, dass wir die Freude an Technologie und Innovation als Land stärker wiederentdecken.

Neben der Modernisierungsagenda wird auch ein Entlastungskabinett vorbereitet. Sie hatten die Ministerien um Vorschläge zum Bürokratieabbau gebeten. Gibt es schon einen Termin?

Es wird am 5. November sein.

Die Rede war mal von Oktober…

Ob Ende Oktober oder Anfang November: Es gibt keinen tieferliegenden Grund für die Verschiebung. Das ist alles auf einem guten Weg.

Worum wird es gehen?

Wir werden ganz konkrete Punkte zur Entbürokratisierung beschließen. Und außerdem ist meine Hoffnung, dass wir noch ein paar belastbare Eckpunkte für weitere Entlastungen integrieren. Wir wollen die Gesetze handwerklich ordentlich machen. Das ist eine Daueraufgabe,
an der wir kontinuierlich arbeiten, kein einmaliges Feuerwerk.

Im Dezember soll eine föderale Agenda mit den Ländern folgen. Können Sie schon mehr sagen?

Das wird das Pendant der Modernisierungsagenda des Bunds sein. Die Frage ist, wo wir Dinge einfacher machen und Verantwortlichkeiten klarziehen können. Dazu sind wir im Austausch mit den Ländern. Ich bin sehr zuversichtlich und sehe, dass die Bereitschaft extrem hoch ist, Dinge zu verändern und ganz konkret in entsprechende Maßnahmen zu überführen. Das soll
Anfang Dezember dann in der Ministerpräsidentenkonferenz beim Bundeskanzler verabschiedet werden. Ich will mal dazu sagen: In dieser Form und auch in dieser Stringenz gab es Staatsmodernisierung in diesem Land noch nicht. Der Umsetzungsprozess wird kein Selbstläufer, aber
wir gehen die Dinge strukturiert an.

Sie waren lange parteilos und sind erst vor einigen Monaten der CDU beigetreten. Warum eigentlich?

Ich mache mir große Sorgen darum, dass diese Gesellschaft zusammenbleibt. Wir müssen aus der Mitte heraus das Richtige tun. Wir brauchen Zutrauen in die Menschen und wir müssen auf Wachstum schalten. Deshalb ist es mir wichtig, klar zu sagen, wofür ich stehe und wo
ich vor allen Dingen nicht stehe. Meine ordnungspolitische Heimat ist die soziale Marktwirtschaft und ich halte das als Ordnungsprinzip für einen großen Wert. Für mich war deshalb klar: Wenn ich in dieses Amt eintrete, will ich auch Farbe bekennen. Ich kann mir in dieser Zeit nichts Ehrenvolleres vorstellen, als dem Land zu dienen.

Ist diese Haltung denn mehrheitsfähig in der Koalition?

Wenn ich im Kabinett spreche, habe ich das Gefühl, dass wir eine unglaublich hohe Schnittmenge haben. Wenn ich mit dem Kanzler über Zukunft und Technologie spreche, gehe ich extrem motiviert aus dem Gespräch raus. Die Frage ist, wie wir das wirklich umgesetzt kriegen.
Dafür gibt es keinen Schalter, aber ich brenne dafür. Wir dürfen uns nicht immer hinter Regulierungen verstecken. Stellen wir uns mal vor, wir hätten die gar nicht. Wären wir dann morgen automatisch die Spitzenreiter im KI-Bereich? Natürlich nicht. Auch wenn wir bei der Regulierung
und beim Datenschutz zweifellos etwas tun müssen.

Haben wir denn zu viele Datenschützer?

17 brauchen wir nicht, das ist nicht vermittelbar. Wir haben eine Gesetzgebung aus der EU, die setzen wir um. Es kann doch nicht sein, dass wir das 17 Mal unterschiedlich interpretieren. Ich würde mich freuen, wenn wir das in die föderale Modernisierungsagenda reinkriegen.

Sie sind promovierter Physiker. Gibt es zu wenige Naturwissenschaftler in der Politik?

Ich glaube, wir brauchen immer die richtige Mischung. Wir hatten mit Frau Merkel schon mal eine promovierte Physikerin als Bundeskanzlerin. Aber für viele Dinge brauchen wir eine bessere Mischung. Wir brauchen Geisteswissenschaftler, wir brauchen Naturwissenschaftler,
wir brauchen Computer Scientists, wir brauchen Juristen, wir brauchen Wirtschaftswissenschaftler. Und es müssen auch nicht alle nur studiert haben. Es können auch Menschen sein mit einer ganz anderen Biografie, aus dem Handwerk, aus dem Mittelstand. Das sind alles ehrenwerte Berufe
mit unglaublichen Fähigkeiten.

Aber Juristen sind im politischen Berlin nicht unterrepräsentiert?

Nein, die sind nicht unterrepräsentiert. Wir brauchen natürlich auch Juristen, wir brauchen sie auch in meinem Haus. In manchen Bereichen haben wir aber vielleicht zu viele von ihnen.

 

Mey Dudin und David Grzeschik führten das Gespräch.

Quelle: Rheinische Post