
, Interview
„Die Bürokratie hat ihre eigene Industrie geschaffen“
Digitalminister Wildberger im Gespräch mit der Augsburger Allgemeine: Er muss die Bürokratie in Deutschland verschlanken und für schnelles Internet sorgen. Die Ungeduld kann er nachfühlen: Er wartet selbst noch auf einen Glasfaseranschluss.
Herr Wildberger, Sie leben in einem eher ländlichen Gebiet. Wie zufrieden sind Sie mit dem Internetempfang bei Ihnen zu Hause?
KARSTEN WILDBERGER: Ich wohne tatsächlich in einem der sogenannten weißen Flecken – sowohl, was die Mobilfunkversorgung angeht, als auch beim Breitband. Immerhin habe ich ein Leerrohr. Das liegt aber schon seit geraumer Zeit hinter dem Haus.
Schnelles Internet ist immer auch eine Standortfrage. Vor allem der ländliche Raum hinkt hinterher. Lücken gibt es vor allem beim Mobilfunk.
WILDBERGER: Beim Mobilfunk haben wir zwei Prozent sogenannte weiße Flecken im Land, wie eine neue Studie von uns zeigt. Das sind Gebiete ohne Versorgung mit dem Standard 4G oder 5G. Das ist immerhin eine Fläche, die ist halb so groß wie Schleswig-Holstein. In der Regel sind es stark bewaldete oder hügelige Gebiete. Vergleichsweise viele davon gibt es in Süddeutschland. Da haben wir Nachholbedarf. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das geschlossen kriegen. Auch beim Breitband müssen wir aufholen.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
WILDBERGER: Aktuell ist für etwa jeden zweiten Haushalt Glasfaser verfügbar. Bis zum Ende der Legislaturperiode wollen wir uns von 50 auf 75 Prozent steigern. Was mich aber umtreibt: Selbst wenn Glasfaser verfügbar ist, entscheidet sich nur ein Viertel der Menschen für die Technologie. Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten.
Es gibt viele Menschen, die mit ihrem DSL-Anschluss zufrieden sind. Doch bis 2040 soll laut einem Papier Ihres Ministeriums der Umstieg von Kupfer auf Glasfaser geschafft sein. Was bedeutet das für die Kunden, die bisher nicht umsteigen wollen – auch mit Blick auf den Preis?
WILDBERGER: Niemand muss Angst haben. Es wird nichts abgeschaltet, ohne eine mindestens gleichwertige oder bessere Alternative zu haben. Gleichzeitig kostet die Umstellung auf moderne Netze die Unternehmen zunächst einmal Geld, das sie später wieder reinholen müssen. Da müssen wir eine Balance hinkriegen. Aber klar ist: Für die Kunden muss der Anschluss fair und bezahlbar bleiben.
Sie hatten die Manager der Telekommunikationsbranche zu Gast. Wie wollen Sie die Unternehmen beim Ausbau in die Pflicht nehmen?
WILDBERGER: Alle Gespräche waren bisher außerordentlich konstruktiv. Wir haben uns darauf verständigt, dass wir beim Netzausbau transparenter und messbarer sein wollen. Wenn wir Baustellen haben, die nach drei, vier Jahren immer noch nicht fertig sind, dann müssen wir hinterher sein und nachschärfen.
Das schnellste Internet nützt wenig, wenn wichtige Dienste gar nicht erreichbar sind. So kam es beispielsweise vergangene Woche zu einer Störung bei Amazon Web Services. Obwohl das Problem in Virginia auftrat, waren auch Apps und Dienste in Europa betroffen. Wie abhängig sind wir in Deutschland von den USA?
WILDBERGER: Also zunächst ist es immer ein Problem, wenn kritische Elemente ausfallen – egal, ob das jetzt europäische oder amerikanische Infrastruktur ist. Wenn wir über digitale Souveränität sprechen, heißt das für mich vor allem: Wahlmöglichkeit. Wir waren über Jahre hinweg nur Kunde, haben selbst zu wenig mitgespielt. Dabei haben wir ja die Talente.
Wie ändert man das?
WILDBERGER: Wir müssen schlagkräftiger werden. Schauen Sie sich nur die Skalierung von bestimmten Unternehmen an, da haben wir zu wenige, die international in der Liga mitspielen. Unsere Telekommunikationsanbieter sind am Ende zu klein, um im internationalen Wettbewerb gegen China und die USA zu bestehen. Da wünsche ich mir, dass wir in Europa über die Ländergrenzen hinweg denken. Das möchte ich ändern. Wir müssen unsere Unternehmen stärken.
Kulturstaatsminister Weimer ist der Auffassung, dass Deutschland in bedenklichem Ausmaß von der technologischen Infrastruktur der Amerikaner abhängig ist. Er will auch härter gegen die Unternehmen vorgehen und fordert eine Digitalabgabe nach österreichischem Vorbild. Wie stehen Sie dazu?
WILDBERGER: Wir können Abhängigkeiten nur reduzieren, wenn wir technologisch selbst etwas anzubieten haben, selbst gestalten. Wenn uns das nicht gelingt, wird das regulatorische Schwert immer stumpfer. In Teilen erleben wir das schon heute.
Neben der Digitalisierung haben Sie noch ein zweites Aufgabengebiet. Damit waren Sie kürzlich Thema bei „Wer wird Millionär“. Der Kandidat musste erraten, wofür Ihr Ministerium noch zuständig ist. Außer der Staatsmodernisierung standen die Begriffe Innovationsgeist, Landesfortschrittlichkeit und Kabinettsverjüngung zur Wahl. War etwas dabei, das Sie lieber machen würden als Staatsmodernisierung?
WILDBERGER: Staatsmodernisierung ist erst mal ein großer Begriff. Dabei gilt, wie auch bei der Digitalisierung, dass wir uns an den entscheidenden Punkten aus unserer Verknotung lösen, auch strukturell. Das ist eine Riesenaufgabe. Insofern war das nicht nur die richtige Antwort in der Sendung, es ist aus meiner Sicht auch die richtige Priorisierung.
Am 5. November tagt das sogenannte Entlastungskabinett und will konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau beschließen. Worauf dürfen wir uns einstellen?
WILDBERGER: Wir haben zwei Themenblöcke, aber an den Details wird noch gearbeitet. Deshalb will ich es zunächst dabei belassen. Grundsätzlich gilt, dass wir Vorhaben nicht einfach nur aufschreiben, sondern in den Eckpunkten scharfstellen, wann wir welche Entlastung verbindlich auf den Weg bringen. Damit ist dann klar, dass es tatsächlich so kommen wird. Gleichzeitig nehmen wir uns die nötige Zeit, um es handwerklich gut zu machen. Denn eine bessere Gesetzgebung ist ebenfalls ein wichtiger Teil unserer Modernisierungsagenda.
Das dauert dann wieder alles sehr lang?
WILDBERGER: Ich spüre jeden Tag die Dringlichkeit. Aber mal ehrlich: Es lässt sich doch nicht einfach ein Schalter drücken, und dann ist alles gut. Wir haben uns 20 Jahre lang verknotet und Beton ausgerollt. Es braucht einen Prozess, auch einen kulturellen, um das Stück für Stück zu ändern. Wir geben als Regierung alles und sind entschlossen. Es ist aber richtig anstrengend und nicht so einfach, wie ich mir das wünschen würde.
Wenn Bürokratie abgebaut wird, ist oft die Sorge damit verbunden, dass auch die Arbeitsplätze wegfallen, die diese Bürokratie überwachen. Entsprechend gibt es dann ein Festhalten an diesen Arbeitsplätzen und wiederum ein Festhalten an der Bürokratie. Kann man das aufbrechen?
WILDBERGER: Hinter jeder Veränderung gibt es eine Interessengruppe, die mir sagt: Das gefällt mir aber so nicht! Die Bürokratie hat ihre eigene Industrie geschaffen. Denken Sie nur an das ganze Berichtswesen und die Beratertätigkeiten. Wir müssen also für Veränderungsbereitschaft werben. Aber ja, man kann das aufbrechen. Es braucht Führung und geht nur Stück für Stück. Aber es geht.
Bürokratie ist nicht per se schlecht. Gibt es Bereiche, die Sie nicht zurückdrehen wollen?
WILDBERGER: Es gibt natürlich Dinge, die sinnvoll sind. Wenn es um Verbraucherschutz geht, beispielsweise. Der Schutz der Rechte von Kundinnen und Kunden ist enorm wichtig. Aber auch hier gibt es Dinge, die wieder deutlich zu weit schießen. Wenn Verbraucherschutz in einer 40-seitigen AGB mündet, ist das kontraproduktiv. Ein anderes Beispiel ist der Datenschutz. Das ist ein Grundrecht, das ich nie in Zweifel ziehen würde. Aber auch da hat sich vieles verselbstständigt und das Ziel wurde aus den Augen verloren. Es gibt weitere Bereiche, in denen sich das breitgemacht hat, und wo ich mir die Frage stelle: Vertrauen wir den Menschen eigentlich noch?
Vereinfachungen beim Lieferkettengesetz sind in der vergangenen Woche im EU-Parlament geplatzt. Wie nehmen Sie den Willen zum Bürokratieabbau auf EU-Ebene wahr? Muss da mehr kommen?
WILDBERGER: Europa ist unsere Heimat und unsere Zukunft. Aber Europa muss sich gleichzeitig wirtschaftlich wie gesellschaftspolitisch massiv verändern, damit es in der Zukunft erfolgreich ist. Dass die Änderungen im Parlament nicht durchgegangen sind, ist deshalb sehr ärgerlich. Ich hoffe, dass es korrigiert wird. Es darf nicht darum gehen, wer in Brüssel recht hat. Es geht einzig und allein um die Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen zuhören, und wenn sie uns sagen, dass das Gesetz zu komplex ist, muss es geändert werden. Am Ende des Tages geht es darum, dass wir nicht alles regulieren, bestimmen und mit zusätzlichen Regeln versehen müssen. Und wir in Deutschland müssen dann nicht die Regeln aus Europa noch mal besser machen.
Sie bauen gerade ein neues Ministerium auf und können beim Bürokratieabbau mit gutem Beispiel vorangehen. Wie funktioniert das?
WILDBERGER: Im Moment sind wir in einem ehemaligen Autohaus untergebracht. Unsere neue Liegenschaft ist von der Größe her nicht ideal, aber es gibt für sie bereits einen existierenden Vertrag, den wir übernehmen. Gleichzeitig arbeiten wir intern anders, agieren beispielsweise stärker in übergreifenden Projekten. Meine Zielvorstellung ist ein schlankes, sehr leistungsfähiges und digital geprägtes Ministerium. Wir wissen, dass wir nicht mit unserem eigenen Geld arbeiten. Wir sind beauftragt, mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger etwas Gutes anzustellen.
Sie sind promovierter Physiker wie Altkanzlerin Angela Merkel. Sie kommen aber auch aus der Wirtschaft, wie der amtierende Kanzler Friedrich Merz. Wie prägt das Ihren Blick auf die Arbeit?
WILDBERGER: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin aus der Physik und Forschung rausgegangen, weil ich Menschen um mich haben wollte. Das Wesentliche ist aber, dass ich mir im Wirtschaftsleben durch mein Wissen aus der Physik das Vorgehen angeeignet habe, zunächst die Zusammenhänge zu verstehen. Was sind die Grundsätze, die ein System treiben? Daraus entwickelt sich mein Zielbild: Was soll am Ende rauskommen?
Unternehmer sind in Umfragen immer ein bisschen besser angesehen als Politiker. Und besser verdient haben Sie früher auch. Wieso haben Sie sich dann für den Jobwechsel entschieden?
WILDBERGER: Wenn Sie die Frage gestellt bekommen, ob Sie in Ihrem Land mithelfen wollen, noch dazu in einer Zeit, die megakritisch und gesellschaftspolitisch sehr polarisierend ist, dann ist das keine Frage des Geldes.
Was soll sich am Ende der Legislaturperiode im Jahr 2029 für die Bürgerinnen und Bürger konkret verändert haben?
WILDBERGER: Die Menschen sollen merken, dass es für sie einfacher geworden ist. Sie sollen die Perspektive haben, dass das Morgen eine große Chance hat, besser zu sein als das Heute. Auf der Innovationsseite wünsche ich mir für das Land, dass wir beispielsweise bei Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz eine ganz andere Dynamik an Innovationskraft entfachen, als es heute der Fall ist. Wir können das hinbekommen, wenn wirklich alle wieder selbst anpacken. Man kann sich nicht ständig darauf verlassen, dass jemand anders die Sache regelt.
Das Interview führten Stefan Lange und Jonathan Lindenmaier.
Es ist am 31.10.2025 erschienen.
Hier geht's zum Original-Artikel: Augsburger Allgemeine