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„Ich bin nicht der Mann mit der Kettensäge“

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland

Seit etwas mehr als 100 Tagen hat Deutschland einen Digitalminister. Im RND-Interview erklärt Karsten Wildberger, wie der Aufbau seines Ministeriums läuft, womit er die Bürokratie bekämpfen will und womit er in der Politik am meisten fremdelt. Außerdem geht es um die Angst der Deutschen vor Künstlicher Intelligenz.

RND: Herr Wildberger, Sie waren mehr als 20 Jahre in Unternehmen tätig, bevor Friedrich Merz Sie zum Digitalminister gemacht hat. Wie oft haben Sie Ihre Zusage bereut?

Gar nicht. Ich bin niemand, der hadernd zurückgeschaut, sondern blicke nach vorne. Die Aufgabe, die ich übernommen habe, ist eine große Ehre, aber auch eine große Verantwortung. Ich gebe alles, um dem gerecht zu werden.

In Konzernen gilt: „Was der Chef sagt, wird gemacht!“ Wie groß ist der Schock, plötzlich mit ehrgeizigen Kabinettskollegen, sperrigen Koalitionspartnern und selbstbewussten Abgeordneten konfrontiert zu sein?

Dass Menschen in Unternehmen dem Chef nur wegen seiner Position folgen, entspricht nicht meiner Erfahrung. Auch CEOs müssen sich Vertrauen erarbeiten. Wer etwas verändern will, muss Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür gewinnen, den Weg mitzugehen. Das ist als Minister nicht anders, auch wenn die Dimensionen andere sind.

Was hat Sie in der Politik überrascht?

Die Intensität und Geschwindigkeit der Berichterstattung. Ich finde, nüchtern betrachtet hat diese Koalition schon eine Menge bewegt. In den Medien aber ist viel von einer Krise die Rede. Wir leben in einer Welt gewaltiger Umbrüche, haben aber kaum Räume, um über lange Linien nachzudenken und zu diskutieren. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das soll keine Medienschelte sein, aber ich nehme das als Herausforderung des politischen Systems wahr.

Die hitzige Berichterstattung hätte es ohne den Krach in der Koalition nicht gegeben.

Das stimmt. Und es behauptet niemand, dass die Richterwahl gut gelaufen sei. Aber es wird inzwischen ein öffentliches Bild von der Koalition gezeichnet, das mit meinem eigenen nicht übereinstimmt. Ich lese viel von Krise, erlebe intern aber große Stabilität. An diesen Widerspruch muss ich mich erst gewöhnen.

Sie wollen Deutschland digital machen und den Staatsapparat verschlanken. Wie erklären Sie das Paradoxon, dass es dafür erst mal ein zusätzliches Ministerium braucht?

Digitalisierung und Modernisierung sind klassische Querschnittsaufgaben. Jeder muss sie erledigen, aber es reicht nicht, wenn sie jeder nur für sich erledigt. Ich möchte das Silo-Denken der Ministerien aufbrechen. Ich will jede Woche neue Themen auf die Tagesordnung bringen und mit den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Häusern permanent darüber diskutieren, wo wir schneller und besser werden können.

Da werden die sich aber freuen…

Es geht nicht um Freude, sondern darum, was nötig ist. Was dieses Land in den vergangenen Jahren an Bürokratie, Regularien und Komplexität aufgebaut hat, ist enorm. Ein Beispiel: Wir haben ein Onlinezugangsgesetz, das die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen regelt, vom Wohngeld bis zur Hundesteuer. 575 digitalisierbare Leistungen gibt es, und davon 6000 Varianten. Ein Wahnsinn. Da fräsen wir uns gerade durch. Das braucht ein bisschen Zeit, lohnt sich aber.

Muss es das Ziel des Digitalministeriums sein, sich in 20 Jahren selbst überflüssig gemacht zu haben?

Ich weiß nicht, wie lange wir brauchen werden. Grundsätzlich ist ein Prozess der Modernisierung und Verschlankung nie zu Ende. Und die Zukunft ist digital. Kann man den auch anders als mit einem eigenen Ministerium organisieren? Sicher! Jetzt aber haben wir uns für diesen Weg entschieden. Und ich glaube, es ist ein richtig guter Weg.

Aus der Union heißt es, die SPD blockiere den Organisationserlass, wonach alle Ministerien ihre Zuständigkeiten für Digitales an Sie abtreten müssen. Eigentlich sollte der Fahrplan dafür Anfang August stehen.

Wir haben mit dem Bundeskanzleramt und allen Ressorts zu Anfang August jeweils eine politische Grundsatzeinigung erzielt. Gleichwohl müssen einige letzte Punkte noch geklärt werden. Dazu gehört die wichtige, aber eben auch nicht triviale Frage, wer die Verantwortung für das ITZBund, den zentralen IT-Dienstleister der Bundesregierung, übernimmt.

Bislang ist es das Finanzministerium, und nach allem, was man hört, will Vizekanzler Lars Klingbeil daran festhalten.

Es gibt noch offene Fragen, die wir gerade klären. Das ist aber auch ein normaler Prozess. Ich bin zuversichtlich, dass Lars Klingbeil und ich eine einvernehmliche und gute Lösung finden werden.

Gemessen an der Größe der Herausforderung sind 100 Tage wenig. Gibt es etwas, das Sie schon auf der Habenseite verbuchen?

Wir haben schon eine Menge geschafft, angefangen beim Aufbau dieses Hauses. Sieben Menschen haben hier an Tag eins gearbeitet, inzwischen sind es 250, am Ende werden es 700 sein. Wichtig war mir, vom ersten Tag an handlungsfähig zu sein, und das haben wir geschafft, indem wir gleich in den ersten Wochen Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht haben. Es gibt ein klares Arbeitsprogramm, derzeit erstellen wir den Fahrplan für die Staatsmodernisierung.

Dafür haben Sie von ihren Kabinettskollegen konkrete Vorschläge für Bürokratieabbau gefordert. In einigen Medien war von einem Ultimatum die Rede.

Das ist Unsinn. Ich habe die anderen Ressorts höflich dazu eingeladen, sich mit eigenen Vorschlägen an der Modernisierungsagenda zu beteiligen. Das geschieht auf Basis des Koalitionsvertrages und war mit allen so abgesprochen.

Also keine Kampfansage?

Im Gegenteil! Ich möchte, dass die gesamte Bundesregierung die Staatsmodernisierung zu ihrem Projekt macht. Deshalb sammle ich Vorschläge, deshalb wird die Modernisierungsagenda bei der Kabinettsklausur Ende September auf der Tagesordnung stehen, deshalb planen wir im Oktober eine Kabinettssitzung zur Entbürokratisierung. Unser Ziel ist ehrgeizig: Wir wollen die Bürokratiekosten um 25 Prozent verringern und damit 16 Milliarden Euro bei den Unternehmen einsparen. Wir werden einen konkreten Fahrplan dafür aufstellen, und wir werden die Erreichung dieser Ziele messen.

Können Sie ein Beispiel über überflüssige Bürokratie nennen?

Jeder, der mal ein Haus gebaut hat, weiß, wie kompliziert und langwierig die Genehmigungsverfahren sind. Bei großen Infrastrukturprojekten ist das alles noch viel komplexer. Das muss und kann schneller gehen. Ein anderes Thema sind Berichtspflichten für Unternehmen. Das Lieferkettengesetz ist in weiten Teilen ein bürokratisches Monster. Wir müssen unsere Unternehmen von Verwaltungsarbeit befreien, damit sie sich wieder stärker um ihr eigentliches Geschäft kümmern können.

Sind Sie jetzt der Mann mit der Kettensäge?

Ich halte nichts davon, die Sache an einer Person oder einem Werkzeug festzumachen. Deutschland braucht große Veränderungen, die gelingen nicht über Nacht. In einigen Bereichen wird man etwas härter rangehen und den Hammer auspacken, in anderen Bereichen braucht es Fingerspitzengefühl und einen Schraubendreher, in wieder anderen reicht vielleicht ein Tupfer. Wir müssen für jedes Problem das passende Instrument finden. Ich bin also nicht der Mann mit der Kettensäge, sondern der mit dem Werkzeugkoffer.

Ihr zweites Themenfeld ist die Digitalisierung. Warum ist die in Deutschland mit so vielen Ängsten verbunden?

Das frage ich mich jeden Tag, und es war nicht immer so. Als sich PCs durchgesetzt haben, das Internet aufkam, der Neue Markt an der Börse, da war die Stimmung eine andere. Statt Angst und Bedenken gab es da große Begeisterung. Und es gab junge und innovative Unternehmen, die die Entwicklung vorangetrieben und in der Weltspitze mitgearbeitet haben. Diesen Geist vermisse ich heute. Bei der Künstlichen Intelligenz reden wir zu viel über die Risiken, und viel zu wenig über die Chancen. Wir haben uns eine Ja-aber-Mentalität antrainiert. Die will ich überwinden.

Können Sie Ängste und Überforderungsgefühle nicht nachvollziehen?

Doch, natürlich kann ich das. Und es ist ja auch eine atemberaubende Entwicklung, die die Technologie in den vergangenen Jahren gemacht hat. Das iPhone kam 2007 auf den Markt. Heute verbringt jeder Erwachsene im Schnitt drei Stunden täglich am Smartphone, bei den Jüngeren sind es noch viel mehr. Smartphones haben unser Leben fundamental verändert, und die Menschen beginnen zu ahnen, dass das bei der KI mindestens genauso sein wird – nur schneller. Klar löst das auch Ängste aus. Aber die helfen nicht.

Sondern?

Wir dürfen nicht versuchen, die Entwicklung zu verhindern, wir müssen Sie gestalten! Das treibt mich wirklich um. Wir sorgen uns um Arbeitsplätze und Datensicherheit und übersehen, dass KI Probleme lösen kann, die bis vor Kurzem als unlösbar galten. Und das zu einem Bruchteil der Kosten. Wir müssen endlich anfangen, die gewaltigen Chancen wahrzunehmen und eigene Technologien zu entwickeln.

„Digital First, Bedenken Second“, war das Motto von Christian Lindner. Ist das auch Ihres?

Ich plädiere für einen pragmatischeren und innovationsfreundlicheren Ansatz bei der KI-Regulierung. Ich bin nicht gegen den Schutz von Daten, natürlich brauchen wir den. Aber er muss so praktikabel organisiert werden, dass er unsere Entwicklungsmöglichkeiten nicht einschränkt, und das Schutzziel trotzdem erreicht. Derzeit gelingt beides häufig nicht. Wenn wir die KI-Produkte für die Zukunft nicht bauen, tun es die Amerikaner und Chinesen. Ich wage zu bezweifeln, dass das für unsere Arbeitsplätze und die Sicherheit unserer Daten besser wäre.

Aus der Senioren-Union kommt die Forderung nach dem Recht auf ein analoges Leben. Gibt es das?

Ja, klar! Niemand wird zu etwas gezwungen. Die Forderung ist ein Indiz für Überforderung, das muss man ernst nehmen. Die Benutzerfreundlichkeit digitaler Angebote für ältere Menschen muss besser werden – sowohl im staatlichen als auch im privaten Bereich. Da liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Gleichzeitig bin ich fest davon überzeugt, dass digitale Technologien das Potenzial haben, gerade das Leben im Alter einfacher zu machen. Deshalb werbe ich auch bei Senioren für Offenheit. Ja, ich will auch analog. Aber derzeit sind wir so weit von „Digital first“ entfernt, dass sich die Frage nach „Digital only“ aus meiner Sicht nicht stellt.

Das Interview führten Andreas Niesmann und Kristina Dunz

Quelle: rnd.de