
, Interview
„Wir reden uns kleiner, als wir sind“
Bundesdigitalminister Dr. Karsten Wildberger im Interview mit Focus: Deutschland ist digitales Entwicklungsland. Minister Karsten Wildberger muss das ändern. Warum soll ein Ex-Manager schaffen, woran schon viele Politiker scheiterten?
Herr Wildberger, Sie tragen seit Jahren einen Fitnessring, der Ihre Aktivität misst. Was sagt er Ihnen seit dem Wechsel vom Top-Manager zum Top-Politiker?
Er sagt mir, dass ich stabil bleibe (lacht). In den ersten Wochen musste ich mich ein bisschen umgewöhnen, aber inzwischen läuft es gut. Ich versuche, mir täglich eine halbe Stunde mehr Schlaf zu gönnen – das klingt nach wenig, verändert aber tatsächlich viel.
Wie viel Schlaf bleibt Ihnen im Schnitt?
Fünf bis fünfeinhalb Stunden.
Was hat sich am stärksten verändert, seit Sie in Berlin sind?
Die Intensität. Politik ist dichter, schneller, dauerpräsent. Man hat viel weniger Zeit, zu verarbeiten. Gleichzeitig ist es eine unglaublich ehrenvolle Aufgabe. Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden – als Quereinsteiger ist das nicht selbstverständlich. Aber am Ende sind es überall Menschen, die Dinge bewegen, ob in Politik oder Wirtschaft.
Haben Sie lange mit sich gerungen, diesen Schritt zu wagen?
Als die Frage kam, ob ich meinem Land dienen möchte, war das ein Moment, in dem ich kurz innegehalten habe. Aber die Entscheidung fiel innerhalb weniger Stunden. So eine Aufgabe bekommt man im Leben nicht oft angeboten.
Sie nennen Ihr Haus ein „Start-up-Ministerium“. Geben Sie uns doch einmal einen Elevator-Pitch! 30 Sekunden, um Ihr Haus vorzustellen.
Wir haben in nur sechs Monaten ein Ministerium mit inzwischen 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgebaut – von Null. Das Tempo war enorm. Wir haben ein klares Programm, wir arbeiten fokussiert und messen Fortschritte. In dieser kurzen Zeit so viel aufzustellen, hätte ich mir zu Beginn nicht vorstellen können.
Was unterscheidet den Minister vom CEO?
In beiden Rollen müssen Sie ein Zielbild haben, Menschen um sich versammeln, kommunizieren, überzeugen. Aber die Mechanismen sind völlig verschieden. In der Wirtschaft liefern Sie Quartalsergebnisse, in der Politik gestalten Sie Systeme. Sie müssen mit Ministerien, Parlament, Öffentlichkeit und Ländern umgehen – also mit sehr unterschiedlichen Logiken. Trotzdem gilt auch hier: Ohne Umsetzung bewegt sich nichts.
Viele sagen, Sie seien noch eher Unternehmer als Politiker. Stört Sie das?
Im Endeffekt ist das egal. Es geht darum, Dinge umzusetzen, nicht nur anzukündigen. Sonst verändert sich nichts.
Sie sprechen von einem „Zielbild“. Wo soll Deutschland am Ende dieser Legislatur stehen?
Wir haben jetzt viel zu lange Beton angerührt. Ich wünsche mir, dass die Menschen spüren: Es wird einfacher. Weniger komplex. Dass der Infrastrukturausbau bei Glasfaser und Mobilfunk sichtbar vorankommt. Dass mehr digitale Verwaltungsleistungen funktionieren. Und dass wir beim Thema Künstliche Intelligenz eine neue Dynamik entwickeln: mehr Start-ups, mehr Vertrauen in Technologie, mehr Freude an Innovation. Ich möchte, dass dieses Land wieder an sich glaubt.
Das Land verzweifelt an sich selbst?
Wir müssen den Glauben an uns wiederfinden. Seit Jahren schauen wir eher pessimistisch auf uns. Wenn man eine Transformation gestalten will, braucht man aber Optimismus. Wir haben immer noch eine starke Industrie, hervorragende Universitäten, kluge Köpfe. Aber wir reden uns kleiner, als wir sind. Ich wünsche mir, dass wir wieder an unsere eigene Gestaltungskraft glauben.
Wie weckt man diesen Glauben?
In Unternehmen gibt es dafür den Begriff „Werkstolz“. Und wir können stolz sein. Diese Regierung hat im Vergleich zu den Vorgängerregierungen in enorm kurzer Zeit unglaublich viel auf die Straße gebracht. Viele Menschen haben wegen dieser andauernden Krisenkommunikation Sorgen – die teile ich. Doch die Antwort kann nicht Resignation sein. Wir müssen die Chancen neuer Technologien nutzen, zum Beispiel der KI. Wenn wir das klug tun, kann das einen enormen Wachstumsimpuls bringen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Deutschland sich ein Stück weit wieder neu erfinden kann.
Viele Ihrer ehemaligen Unternehmer-Kollegen klagen über die Politik: zu viel Bürokratie, zu wenig Tempo, zu viele Unvermögen. Ist die Kritik berechtigt?
Sicher trägt auch die Politik Verantwortung für die Probleme. Aber man darf nicht vergessen, dass das System sehr komplex ist. Veränderungen dauern, weil Zuständigkeiten, Gesetze, föderale Strukturen ineinandergreifen. Trotzdem: Wir machen Dinge anders als früher. Ich verstehe die Ungeduld und teile sie auch. Aber wir müssen und werden zeigen, dass das System lernfähig ist.
Ihr Haus gilt als „Querschnittsministerium“. Ihre Entscheidungen betreffen auch die anderen Häuser, dementsprechend haben die auch immer ein Wörtchen mitzureden. Wer aber hat dann den Hut auf?
Wir haben schon die Federführung für wichtige Themen wie etwa den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Auch das Thema KI-Regulierung verhandeln wir in Brüssel. Aber ja, wir haben natürlich auch wichtige Querschnittsaufgaben wie die Staatsmodernisierung, bei denen wir mit allen anderen Häusern, aber auch mit Ländern und Kommunen zusammenarbeiten. Ich sehe das als Vorteil. Wir sind Orchestrator, Antreiber, Partner. Ich habe jede Woche Projektsitzungen, in denen wir uns die Fortschritte anschauen: Wo stehen wir? Wo hakt es? Wo kann ich helfen? So entsteht Dynamik.
Ihr Haus soll im Querschnitt arbeiten, aber die Geschäftsordnung der Bundesregierung ist trotzdem immer noch auf separate Ressorts ausgelegt. Wie schwer ist das?
Es läuft überraschend gut. Wir haben das Ministerium mit Beamten aus sechs bestehenden Häusern aufgebaut und überall Unterstützung bekommen. Das hat viel mit persönlichen Beziehungen zu tun und die sind über alle Häuser hinweg gut. Auch mit den SPD-Ministern Hubig, Klingbeil, Bas und Schneider haben wir wichtige Sachen gemeinsam auf den Weg gebracht.
Es kann ja aber auch passieren, dass Sie mal einem Minister gegenübersitzen, der Ihre Ideen nicht so gut findet. Wie sehr verzweifeln Sie dann an dieser Geschäftsordnung, die Ihnen wenig Spielraum lässt?
Ich finde das Ressortprinzip wichtig. Es sorgt für klare Verantwortung, manchmal aber auch für zu enge Grenzen. Wir brauchen da mehr Durchlässigkeit, gerade bei Transformationsprojekten wie der Staatsmodernisierung. Wenn Ministerien transformiert werden, muss die Führungsetage ihre Leute mehr mitnehmen. Da können wir immer noch mal eine Schippe drauflegen.
Wie könnte mehr Durchlässigkeit beim Ressortprinzip konkret aussehen?
Wichtig ist, dass wir bei Querschnitts- und Transformationsprojekten die starren Grenzen zwischen den Ministerien flexibler gestalten müssen. Das heißt auch den Wechsel zwischen Ressorts vereinfachen oder gemeinsame Arbeitsgruppen und Steuerungsgruppen ermöglichen. Gerade bei Digitalisierung ist es wichtig, dass Projekte ressortübergreifend agil vorangetrieben werden können und nicht an formalen Zuständigkeiten scheitern.
Eines der wichtigsten Digital-Themen unserer Zeit ist die Cybersicherheit. Sie ist kein Querschnittsthema, sondern liegt bei Ihrem Kollegen Dobrindt. Das klingt nach Konfliktpotenzial.
Im Gegenteil! Ich bin dankbar, dass das Innenministerium weiterhin für die Cybersicherheit zuständig ist. Wir haben so schon genug zu tun (lacht). Wir unterstützen Alexander Dobrindt natürlich bei diesem wichtigen Thema. Mit der Diskussion um den Cyberdome als längerfristige Sicherheitsarchitektur im Cyberbereich hat er schon einiges auf den Weg gebracht. Wir sind insbesondere für die Cybersicherheit der Netze und der IT des Bundes zuständig. Da gibt es eine klare Aufgabenteilung. Zuständigkeitsstreitigkeiten sind da gar kein Thema.
Zumindest über die IT-Ausgaben des Bundes soll Ihr Haus künftig die alleinige Hoheit haben, um Doppelanschaffungen zu verhindern. Doch dieser sogenannte „Zustimmungsvorbehalt“ lässt anscheinend auf sich warten. Wird, während wir hier sitzen, weiterhin Software doppelt gekauft?
Da haben Sie jetzt vier, fünf gute Sachen in die Frage gepackt (lacht). Also zum Glück ist das in der Bundesregierung kein Wünsch-dir-was. Der Organisationsserlass des Bundeskanzlers ist da sehr klar: Es ergibt keinen Sinn, wenn Behörden dieselbe Software mehrfach einkaufen. Das kostet nur Geld und Nerven. Der Zustimmungsvorbehalt für IT-Ausgaben ist deshalb ein logischer Schritt. Wir arbeiten an der Umsetzung – sie ist technisch komplexer, als wir das ursprünglich gedacht haben. Aber wir sind auf der Zielgeraden.
Liegt der Zustimmungsvorbehalt vielleicht als Geschenk unter Ihrem Weihnachtsbaum?
Wir wollen mit dem Zustimmungsvorbehalt ins neue Jahr starten. Wenn wir aber eine Veränderung der Verhaltensweise in den Behörden schaffen wollen, reicht nicht einfach nur eine Ansage. Wir werden da mehrere große Schwerpunktthemen rausgreifen und zeigen, wie wir die Dinge anders machen werden. Dafür werden wir uns erstmal auf die Projekte fokussieren, hinter denen besonders viel Geld steckt. Wir müssen mit Prioritäten arbeiten. Man kann nicht alles gleichzeitig machen. Aber wir bauen Prozesse auf, die dauerhaft wirken.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir haben mit dem zentralen IT-Dienstleister des Bundes die Plattform KIPITZ aufgebaut. Dort kann der Verwaltungsmitarbeiter aus zig verschiedenen KI-Anwendungen auswählen, von der Bilderstellung bis zur Schwärzung von Dokumenten nach verschiedenen Kriterien. Wichtig ist: Alle Modelle werden lokal gehostet. Das bedeutet, Sie haben keine Internetverbindung und sind damit auch für sensible Daten total sicher. Früher hätte jedes Ministerium etwas Eigenes gebaut, so dass wir dann zehn verschiedene Plattformen gehabt hätten.
Wie weit können Sie damit dieses Jahr kommen?
Wir schaffen mit der Struktur die Grundvoraussetzung. Ich will, dass der IT-Planungsrat die nötigen Standards dafür beschließt. Erst dann können wir im föderalen System mal nach einheitlichen Standards entwickeln. Das möchte ich bis Weihnachten hinbekommen.
Der IT-Planungsrat koordiniert die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Digitalisierung. Sie haben also auch nur eine von 17 Stimmen. Behindert Sie das in Ihrer Arbeit?
Nein, das sehe ich nicht so. Der Bund verfügt im IT-Planungsrat über eine gewichtige Stimme. Entscheidend ist, dass alle Seiten erkannt haben, dass das bisherige Silodenken und die Insellösungen nicht mehr zukunftsfähig sind. Es besteht großer Konsens, dass wir gemeinsam die föderale Zusammenarbeit bei der Digitalisierung stärken müssen. Ich erlebe da in der Praxis eine hohe Bereitschaft der Länder, mit uns an einem Strang zu ziehen.
Wie wichtig ist KI für die Staatsmodernisierung?
Auch da kann ich Ihnen ein gutes Beispiel aus meinen ersten Wochen als Minister geben. Wir haben recht schnell damit begonnen, eine KI-basierte Genehmigungsplattform zu entwickeln, die innerhalb von zwölf Wochen fertig war. Ein Projektteam von sieben Leuten hat eine komplexe Genehmigungsstrecke für Infrastruktur-Projekte automatisiert. Das Ergebnis: 80 Prozent Zeitersparnis! Der Mensch prüft am Ende weiterhin die letzten Schritte, aber die Maschine reduziert die Komplexität enorm.
Kann man diese Lösung denn auch in anderen Bereichen einsetzen?
Theoretisch können alle möglichen Infrastrukturprojekte mit KI automatisiert bearbeitet werden. Wir wollen diese Lösung deshalb auch anderen Behörden für die Nachnutzung anbieten.
Und können Sie die Lösung jetzt schon nutzen?
Wir haben das für mehrere Anwendungsfälle getestet und es funktioniert. Aktuell prüfen wir noch ein alternatives Verfahren. Dafür haben wir bereits junge KI-Startups ins Ministerium eingeladen, die Vorschläge machen, wie man eine Vielzahl von komplexen Verwaltungsvorschriften automatisiert vereinfachen kann.
Christian Lindner wollte den Staat mit der „Heckenschere“ modernisieren, Sie selbst sagten mal, man könne auch erstmal „am Baum rütteln“. Welches Werkzeug brauchen wir denn jetzt, um den Staat zu modernisieren?
Wir brauchen keine einmalige Aktion, sondern einen dauerhaften Prozess. Bürokratieabbau ist wie Training. Sie gehen ja auch nicht ein paar Wochen ins Fitnessstudio und sind dann für immer fit. Wir müssen Vereinfachung zu einer Routine machen. Dazu gehört ein Werkzeugkasten. Bei den überbordenden Berichtspflichten etwa müssen wir schon schweres Gerät nehmen. Manchmal braucht es aber feinere Werkzeuge – etwa bei Verhandlungen mit der EU zur Vereinfachung von Regulierungen. Für diese Gespräche sollte man vielleicht eher eine Feile verwenden.
Sie sprechen von Deregulierung als dauerhaften Prozess. Wie soll der konkret aussehen?
Indem wir das Thema immer wieder und kontinuierlich auf die Agenda setzen – und zwar auf allen Ebenen. Parallel zu den Planungen für das Entlastungskabinett am 5. November, wo wir ganz konkret Paragraphen streichen werden, laufen Verhandlungen für die föderale Modernisierungsagenda. Außerdem führe ich Gespräche mit Brüssel, um im Bereich der Digitalgesetze Unternehmen zu entlasten. Und es wird nicht bei dem einen Entlastungskabinett bleiben.
Gibt es ein Land, das einen solchen dauerhaften Prozess schon erfolgreich eingeführt hat und das Sie sich als Vorbild nehmen?
Mein Ordnungsprinzip ist die soziale Marktwirtschaft und ich glaube zutiefst an die kreative Kraft der Menschen. Der Staat schafft den Rahmen und darin können sich die Bürger frei entfalten. Mittlerweile ist das Pendel ein wenig zu sehr in Richtung Staat ausgeschlagen. Das gilt es wieder zurückzuführen. Dafür gibt es im Ausland sicherlich gute Beispiele, aber jedes Land ist anders und die Wege sind nur schwer übertragbar. Zentraler ist die Mindset-Frage: Wir müssen neue Freiheitsgrade schaffen. In den letzten Jahren ist es eher in die andere Richtung gegangen – durch die EU und durch uns selbst.
Wegen der föderalen Struktur?
Sicherlich, aber ich halte Dezentralität auch für eine Stärke, wenn sie gut organisiert ist. Wir brauchen klare Zuständigkeiten: Was macht der Bund, was die Länder, was die Kommunen? Kommunen sind für viele Leistungen der entscheidende Ort – dort erleben die Bürger den Staat. Wenn wir das klug ordnen, kann der Föderalismus sogar ein Vorteil sein. Aber dafür müssen wir die Prozesse wieder vereinfachen.
Wie genau?
Unser System ist zu kleinteilig. Wir veredeln europäische Regeln gleich zweimal – auf Bundes- und auf Landesebene. Nehmen Sie den Datenschutz: Ein EU-Gesetz reicht uns nicht, wir machen es 17-mal komplizierter. Oder die Eichämter – jedes Land hat eigene. Dazu kommt noch eine Bundesbehörde. Wahnsinn! Andere Länder bauen längst die dritte Generation von Smart Metern, wir diskutieren noch über die Standards. Das ist absurd. Wir müssen lernen, Dinge einmal zu machen, dafür aber richtig.
Wie wollen Sie das durchsetzen?
Indem wir in der Sache Einigkeit herstellen. Man muss Probleme zerlegen, Schritt für Schritt lösen. Erst wenn klar ist, was nicht funktioniert, kann man Vereinheitlichung angehen.
Sie verhandeln in Brüssel gerade den sogenannten „Digital Omnibus“, der EU-weit Bürokratie abbauen soll. Friedrich Merz klang lange zuversichtlich, was europäische Deregulierung angeht, wirkt in den letzten Wochen aber zunehmend desillusionierter. Müssen wir uns Sorgen machen?
Der Kanzler ist nicht desillusioniert, sondern voller Kampfeslust. Wir sind im engen Austausch mit den anderen Mitgliedstaaten – und singen, wie man so schön sagt, vom selben Liedzettel. Europa muss einfacher werden. Unsere Unternehmen brauchen weniger Berichtspflichten und mehr Raum für Wachstum. Das wird dauern, aber ich spüre Entschlossenheit – bei uns und in Brüssel. Ich hoffe, dass der geopolitische Druck aus den USA und China uns dabei hilft, jetzt mal einen Gang hochzuschalten.
Auch die KI-Regulierung ist Thema in der EU. Wir haben ChatGPT mal gefragt, welche Frage wir dem deutschen Digitalminister über KI stellen sollen. Sie will wissen: Wie plant das Bundesministerium, KI-Modelle wie mich – also große Sprachmodelle – sinnvoll und verantwortungsvoll einzusetzen, ohne dabei Datenschutz, Transparenz und demokratische Kontrolle zu gefährden?
Das müssen Sie OpenAI fragen (lacht). Spaß beiseite: KI ist eine riesige Chance für unser Land. Wir müssen die Technologien beherrschen – selbst bauen, verstehen, anwenden. Europa hat eigene Modelle wie Mistral, auch kleinere spezialisierte Systeme. Wichtig ist, dass wir sie nutzen, um konkrete Probleme zu lösen: in der Verwaltung, in der Industrie und im Alltag der Menschen. Jedes Geschäftsmodell lässt sich mit KI neu denken – vom Rechtswesen bis zur Produktion. Das Rennen wird sich zwischen denen entscheiden, die KI am schnellsten produktiv einsetzen.
Und die Risiken?
Natürlich müssen wir uns den Problemen verantwortungsvoll stellen. Was bedeutet das für Jobs? Wie bringen wir Menschen in andere Arbeit? Wie begleiten wir den Prozess? Aber die schlechteste Antwort von allen wäre es, jetzt nicht voll dabei zu sein.
Wie weit hinken wir im internationalen Vergleich hinterher?
Wir haben alle Chancen, mithalten zu können. Wir haben gute Unternehmen und es passiert auch eine ganze Menge. Ich war gerade in Heilbronn, da entsteht gerade ein toller Campus für KI. Nicht nur für die Forschung, sondern auch für die praktische Anwendung. Jede Woche gehen auch bei uns im Land neue KI-Firmen, neue Data-Center live. Das stimmt mich zuversichtlich.
Trotzdem sind wir aktuell technologisch weiterhin von großen Firmen aus den USA abhängig. Wie gefährlich ist das?
Die beste Souveränität heißt: selbst machen. Diese Abhängigkeit wird nur kleiner, wenn wir anfangen, Lösungen zu bauen und diese Geschäftsmodelle dann auch skalieren. Natürlich müssen wir auch unser Recht erwirken und drohende Monopole bekämpfen. Gleichzeitig brauchen wir aber eine eigene technologische Führungsposition. Dafür kämpfe ich.
Sie kommen aus dem Management. Ihr Chef Friedrich Merz steht aktuell vor allem für Management-Fehler in der Kritik. Wie oft sprechen Sie mit ihm über Führung?
Ich spreche regelmäßig mit ihm. Aber ehrlich gesagt lerne ich mehr von Friedrich Merz als er von mir. Ich bin froh, dass wir einen Kanzler haben, der auch Erfahrung in der Wirtschaft gesammelt hat und weiß, wie es geht. Die Anzahl der Krisen, die wir aktuell erleben, ist immens. Da ist es gut, dass wir einen Bundeskanzler mit klarem Kompass haben.
Was haben Sie zuletzt von ihm gelernt?
Dass man Menschen Mut machen muss. „Encouragement“ nennen wir das in der Wirtschaft. Jedes Mal, wenn ich mich mit Friedrich Merz treffe, gehe ich mit diesem Gefühl raus. Das ist das Beste, was Ihnen eine Führungskraft geben kann.
Das Interview führten Felix Heck, Franziska Reich und Leon Werner.
Es ist am 31.10.2025 (Print) und am 01.11.2025 online erschienen.
Quelle: Focus